Mittwoch, 6. Januar 2016

Kristine Bilkau: Die Glücklichen

Wenn jemand die höchste Stufe eines schmeichelhaften Glücks erreicht hat, ist er einem gefährlichen Abgrund am nächsten.
(Zitat von Sully Prudhomme
(1839 - 1907), eigentlich René François Armand Prudhomme, französischer Notar und Lyriker, erster Nobelpreisträger für Literatur 1901)

Quelle: Randomhouse


Worum geht es in diesem Roman?
Isabell und Georg sind ein Paar. Ein glückliches. Wenn die Cellistin Isabell spätabends von ihren Auftritten mit dem Orchester nach Hause geht oder der Journalist Georg von seinem Dienst in der Redaktion auf dem Heimweg ist, schauen sie oft in die Fenster fremder Wohnungen, dringen mit ihren Blicken in die hellen Räume ein. Bei abendlichen Spaziergängen werden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, stilvolle Deckenlampen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer Signale gesicherter Existenzen, die ihnen ein wohliges Gefühl geben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Doch das Gefühl verliert sich. ... (Klappentext)




Nach der Geburt ihres Sohnes hat sich Isabell die Rückkehr in ihr Berufsleben einfacher vorgestellt. Sie hat den Anspruch, Mutter- und Musikerrolle perfekt miteinander in Einklang zu bringen. Dabei setzt sie sich dermaßen unter Druck, dass sie auf einmal nicht mehr in der Lage ist, öffentlich mit ihrem Cello aufzutreten. Sie muss sich krank melden. Ungefähr zur gleichen Zeit wird die Zeitung bei der Georg angestellt ist, verkauft. Die Mitarbeiter werden entlassen, Georg ist plötzlich arbeitslos.
"Im Café jammerten die Mütter, um sich zu verbünden, aber es war harmloses Jammern, bevor es wirklich ehrlich wurde, wandelten sich die Gespräche, die Frauen wiegelten ab, es sei ja doch alles so schön, und überhaupt, sie steckten das weg, wie, wüssten sie nicht, das wäre halt so, und Isabell dachte, ihr blöden Mütterkühe, die ihr alles so mühelos schafft -,..." (S. 58)

Wie gehen Isabell und Georg mit der Arbeitslosigkeit um?

Kristine Bilkau lässt beide Protagonisten zu Wort kommen. Die Geschichte wird sowohl aus der Sicht von Georg als auch von Isabell erzählt. 
Anfangs sind beide noch zuversichtlich. Jemand mit Georg's Qualifikation kann einfach nicht lange arbeitslos bleiben. Insofern leben sie ihren gewohnten Lebensstandard weiter wie bisher, warum auf's Geld achten? Schließlich handelt es sich bei der Arbeitslosigkeit von Georg nur um einen vorübergehenden Zustand. Und auch die Schwierigkeiten von Isabell lassen sich therapieren, so dass sie früher oder später wieder ein Engagement annehmen kann. Also, alles kein Problem?!

Mit der Zeit steigt die Nervosität und der Druck. Zumindest Georg versucht sparsamer zu leben - sehr zum Unwillen von Isabell. Sie will den finanziellen Engpass nicht akzeptieren. Für sie steht im Vordergrund, das Bild der wohlhabenden glücklichen Familie aufrechtzuerhalten. Sparen bedeutet für sie das Einbüßen von Lebensqualität, und das möchte sie nicht hinnehmen. Stattdessen geht sie nach wie vor verschwenderisch mit den finanziellen Ressourcen der Familie um.
"Sie zuckt kalt mit den Schultern. Jetzt ist er mal derjenige, der mit hohlen Fragen ihre Nähe sucht. Besser, er spricht nicht mit ihr, vor allem soll er gar nicht erst anfangen zu versuchen, ihr etwas Freundliches zu sagen, sie auffangen zu wollen, ihr Misserfolg kommt ihm nämlich gelegen, der gibt ihm doch richtig Auftrieb, er braucht ihre Schwäche, die lenkt ihn vom eigenen Versagen ab." (S. 203)

In guten wie in schlechten Zeiten...

Es ist keine Anstellung in Sicht, die den intellektuellen Ansprüchen Georgs gerecht werden kann! Georg droht, an dem Druck zu zerbrechen. Isabell hingegen will die Probleme, die die Arbeitslosigkeit mit sich bringt, einfach ignorieren. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Die beiden entfremden sich, fangen an, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen - vorwiegend in Gedanken, denn sie haben verlernt miteinander zu reden. Es ist, als ob bei beiden eine Schockstarre eingetreten ist. Angesichts der übermächtigen Probleme sind sie wie gelähmt und sind nicht in der Lage aufeinander zuzugehen.

Versuche, an den alten Zeiten anzuknüpfen, enden in einem Fiasko. Es ist fast rührend, wie beide versuchen, ein Stückchen des alten Lebens zurückzuholen, allerdings als Sparversion. Doch schnell stellen sie fest, dass sie mit den wenigen Bruchstücken des Glücks, das sie sich noch leisten können, nicht zufrieden sind. Die Ehe der beiden scheint an der Arbeitslosigkeit zu zerbrechen.
"Da packt sie die kalte Panik, ihnen wird die Luft ausgehen, ganz egal, wohin sie ziehen, zusammen zu scheitern ist schlimmer als allein. Wer allein ist, wird nicht beobachtet, muss keine Haltung bewahren, muss sich nicht als Ursache für das nächstbeste Problem fühlen, und die Frage, wer recht oder unrecht hat, ist auch nicht mehr wichtig." (S. 215)

Und, wenn man nun meint, dass die Familie am Tiefpunkt angelangt ist ... Irrtum, es geht noch schlimmer. Als Georg's Mutter stirbt, stellt Georg fest, dass der Nachlass seiner Mutter eine böse Überraschung für ihn bereit hält.

Wo Sonne ist, da ist auch Schatten ....

Dieser Spruch geisterte mir beim Lesen dieses Romans permanent durch den Kopf. Das ursprüngliche Leben der Familie, diese vermeintliche Idylle, die für die Außenwelt zur Schau getragen wird, ist nicht so toll, wie es aussieht. Insbesondere Isabell kostet es unheimlich viel Kraft, das Bild von einer hippen, wohlhabenden Familie aufrechtzuerhalten. Nicht umsonst wird sie krank und arbeitsunfähig, weil sie mit dem enormen psychischen Druck, den sie sich macht nicht zurecht kommt.
Ebenso die überflüssigen Geldausgaben während der Arbeitslosigkeit, die sich ganz einfach mit dem Spruch "man kann nicht immer nur sparen, man muss sich auch mal was gönnen" entschuldigen lassen. Das kleine Stück Glück, das sich das Ehepaar von Zeit zu Zeit gönnt, ist teuer erkauft und vergänglich. Denn das nachfolgende schlechte Gewissen wegen einer überflüssigen Geldausgabe macht die finanzielle Misere umso deutlicher.

Und wo Schatten ist, da ist auch Sonne ...

Tatsächlich hat dieser Roman ein versöhnliches Ende. Der Tod von Georg's Mutter mit all seinen negativen Konsequenzen bewirkt bei Georg und Isabell einen Umdenkprozess. Beiden wird bewusst, dass die von ihnen angestrebte Glücksform einfach viel zu vergänglich ist, um ihr weiter nachzujagen.
"Zusammen schauten sie in fremde Zimmer. Bei abendlichen Spaziergängen wurde sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher ... Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Inzwischen freut er sich, wenn irgendwo vergilbte altmodische Gardinen oder rebellisch schmutzige Bettlaken in den Fenstern hängen. Dann denkt er: Da verteidigt ein alter Mann trotzig seinen dreißig Jahre alten Mietvertrag und will und will nicht sterben.... Doch ansonsten lässt ihn seine Nachbarschaft im Stich. Sie stößt ihn davon. Die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben sage alle dasselbe: Wir können, du nicht." (S. 134 f.)

Kristine Bilkau beschreibt das Schicksal dieser Familie in einem sehr eindringlichen Sprachstil. Sie schafft es, dass man den Druck und Stress, der durch eine derartige Situation aufgebaut wird, fast körperlich spüren kann. Die Art, wie das Ehepaar mit der Arbeitslosigkeit umgeht, ist nachvollziehbar. Ich habe erschreckend viele Parallelen zu dem Alltagsleben entdeckt. Insbesondere das Streben nach Wohlstand, dessen Zurschaustellung und das Streben nach Anerkennung ist bei vielen Menschen zu finden und deren eigene persönliche Definition von Glück.

Dieses Buch macht nachdenklich. Gerade, weil es so viele Parallelen zum Alltag gibt, hält Kristine Bilkau dem Leser einen Spiegel vor die eigene Seele, so dass man am Ende sein eigenes Verständnis von Glück hinterfragt. Ich habe dieses Buch verschlungen und spreche daher eine klare Leseempfehlung aus.

© Renie


Die Glücklichen von Kristine Bilkau, erschienen im Luchterhand Verlag
ISBN 978-3-630-87453-1



Der Verlag über Kristine Bilkau:
Kristine Bilkau, 1974 geboren, war 2008 Finalistin des Literaturwettbewerbs Open Mike in Berlin und 2009 Stipendiatin der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin. 2010 erhielt sie das Stipendium des Künstlerdorfes Schöppingen und 2013 nahm sie an der Bayerischen Akademie des Schreibens des Literaturhauses München teil. Sie arbeitet als Journalistin für Frauen- und Wirtschaftsmagazine und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. „Die Glücklichen“ ist ihr erster Roman. (Quelle: Luchterhand)