Mittwoch, 30. September 2015

Sabine Schäfers: Trau mir nicht!

Ein rasanter Thriller, mit einem absolut treffenden Titel. Denn trauen sollte man keinem in dieser spannenden Geschichte um geheime Organisationen, merkwürdigen Projekten, eigenartigen Nachbarn und einem Fuchs.
Quelle: Sabine Schäfers
Worum geht es:
Merkwürdige Vorfälle überschatten Isabels Ferien auf dem Familiensitz in Südfrankreich, aggressive neue Nachbarn beunruhigen sie, nur knapp entgeht Isabel einigen seltsamen Unfällen. Und sie spürt, dass Luc, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat, etwas vor ihr verbirgt. Was weiß er über die Vorgänge im Ort?

Die Wahrheit übersteigt ihre schlimmsten Befürchtungen. Isabel gerät in die internen Machtkämpfe einer internationalen Bande, und plötzlich ist nicht nur ihr Leben in Gefahr, sondern auch das ihrer Familie. Als die Ereignisse sich überschlagen, geht Isabel ein riskantes Bündnis ein. Um ihre Familie zu retten, bleibt ihr keine andere Wahl als der Gegenangriff – selbst, wenn sie gegen den Mann antreten muss, den sie liebt. (Quelle: Buchbeschreibung)
Dieses Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Kein Wunder, denn Sabine Schäfers hat sich bei ihrem Buch nicht lange mit Einleitung und Vorgeplänkel aufgehalten. Direkt in den ersten Seiten gerät die Protagonistin in eine unheimliche und beklemmende Situation. Da man als Leser nicht darauf vorbereitet ist, wird sofort Spannung aufgebaut. Und dieser Spannung kann man sich während des kompletten Handlungsverlaufs kaum entziehen.

Sonntag, 27. September 2015

David Foenkinos: Charlotte

Ein aufwühlender und verstörender Roman über die jüdische Malerin und Schriftstellerin Charlotte Salomon, die im Alter von 26 Jahren im KZ Auschwitz Birkenau umgebracht worden ist. Ihr kurzes Leben war von Schwermut und Hoffnungslosigkeit geprägt. 
Quelle: Verlagsgruppe Random House GmbH

Der Roman beginnt in ihrer Kindheit: Als Charlotte 9 Jahre alt ist, begeht ihre Mutter Selbstmord. Ihr Vater heiratet ein zweites Mal.
Ihre Schulzeit verbringt Charlotte an einem Mädchengymnasium, das sie jedoch 1933, ein Jahr vor ihrem Abitur verlässt, um den antisemitischen Anfeindungen zu entgehen. Aufgrund der Verdienste des Vaters im 1. Weltkrieg, erhält sie jedoch die Möglichkeit, die Kunsthochschule zu besuchen. Hier wird sie von einem Professor protegiert, der ihr künstlerisches Talent erkennt und den Mut besitzt, sich über die antisemitischen Repressalien hinwegzusetzen. Als Charlotte eine Auszeichnung für ihre Arbeit aufgrund ihrer jüdischen Herkunft versagt wird, bricht sie die Schule ab.
Mittlerweile ist der Druck der Nationalsozialisten auf die jüdischen Mitbürger kaum auszuhalten. Ihre Eltern schicken Charlotte ins Exil nach Südfrankreich, wo ihre Großeltern mütterlicherseits bereits vor einiger Zeit ausgewandert sind.
Eine Zeit lang ist Charlotte in Sicherheit. Doch irgendwann holt sie der Nationalsozialismus ein. Sie wird denunziert und nach Auschwitz verfrachtet. Hier stirbt sie im Alter von 26 Jahren.

Samstag, 26. September 2015

Helmut Exner: Alfies Bestattungsladen

"Eine bitterböse Krimikomödie aus dem Harz", die mich anfangs amüsiert und unterhalten, in der Mitte überrascht und zum Ende enttäuscht hat.



Das Buch ist in 3 Teilen geschrieben.


Teil 1 (Harz)

In Goslar betreibt Alfie - Alfons Witzki - mit seiner Familie ein Bestattungsunternehmen. Alfie ist jetzt nicht das, was man sich klischeehaft unter einem Bestatter vorstellt. Ganz im Gegenteil, er betreibt sein Geschäft auf sehr unkonventionelle Weise und ist immer auf der Idee nach neuen Geschäftsideen.
"Wenn er nur ein Prozent des deutschen Suizid-Marktes für sich bekäme, wäre er ein gemachter Mann. Mal ganz abgesehen von den Vorteilen für die Sterbewilligen. Die könnten in aller Ruhe in einer schönen Umgebung der Welt Lebewohl sagen. Mit etwas Fantasie könnte ein Hotelier hübsche Arrangements für den Tag X anbieten. Ein letztes gutes Essen, Musik, schöne Frauen oder auch Männer, auf Wunsch geistlichen Beistand oder ein letztes Besäufnis."
Eines Tages verschwindet ein junges Mädchen in Goslar und wird kurz darauf tot aufgefunden. Da das Mädchen eine gute Bekannte von Alfie's Tochter Rebecca war, hat Familie Witzki natürlich ein besonderes Interesse an der Aufklärung des Verbrechens.

Die Anekdoten, die der Autor rund um die Arbeit eines Bestatters liefert sind schon sehr komisch und strotzen nur so vor schwarzem Humor. Die Charaktere in dem Buch sind teilweise sehr skurril und kauzig dargestellt, aber trotzdem immer noch liebenswert. Als Leser hat man sie schnell ins Herz geschlossen. Dieser Teil des Buches hat mich großartig unterhalten. Er ist amüsant und spannend - genau das, was ich mir unter einer Krimikomödie vorstelle. Es hätte so weitergehen müssen ....

Teil 2 (Kanada)

Und plötzlich nach der Hälfte des Buches befindet man sich auf einer weiteren Handlungsebene. Der Autor entführt den Leser nach Kanada, in die Gemeinschaft der Hutterer.
"Die Hutterer sind eine Täufergemeinde, die sich am Ur-Christentum orientiert. Es werden ausschließlich erwachsene Menschen getauft, die darüber selbst entscheiden können... Und sie sind strikte Pazifisten. Am unheimlichsten ist den Menschen aber wohl bis heute, dass die Hutterer ihren ganzen Besitz zusammentun und alles miteinander teilen. Sie leben in Kolonien, und alle besitzen gleich viel. Es gibt in dieser Gemeinschaft keine Armen und Reichen. Sie leben weitgehend abgeschottet von der Welt und führen ein Leben nach strengen moralischen Vorstellungen."
Die Geschichten um die Hutterer sind hoch interessant. Ich habe mich jedoch die ganze Zeit gefragt, was das Leben der Hutterer mit den Geschehnissen in Goslar zu tun hat. Erst zum Ende des 2. Teils erfährt man den Zusammenhang. 

Teil 3 (Harz)

Der letzte Teil setzt nahtlos bei dem Ende des ersten Teils an. Dadurch wirkt der 2. Teil noch deplatzierter, als ob er erst nachträglich eingefügt worden wäre.
In dem letzten Teil wird das Verbrechen schließlich aufgeklärt. Es kommt zu einem kleinen "Showdown". 
Leider war dieser Teil für mich sehr enttäuschend. Die Handlung um das Verbrechen wirkte auf einmal konstruiert. Die Handlungen einiger Protagonisten waren für mich nicht nachvollziehbar. Kommissar Zufall hat eine zu große Rolle gespielt.

Wenn der erste Teil nicht so wundervoll gewesen wäre, hätte ich dieses Buch mit Sicherheit abgebrochen. Als Krimi war dieses Buch für mich enttäuschend. Dafür waren die Geschichten aus dem Berufsleben des Bestatters Alfie sehr amüsant und unterhaltsam. Wenn es also hierzu eine eigene Buchreihe gäbe, wäre ich mit Sicherheit dabei.
© Renie

Alfies Bestattungsladen
Autor: Helmut Exner
Verlag: EPV Elektronik-Praktiker
ISBN: 978-3943403374

http://www.helmutexner.de/

Mittwoch, 23. September 2015

Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe

Was schreibe ich über ein Buch, das es bis auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat? Ein Buch, das von vielen gelobt worden ist, aber bei mir keinen überragenden Eindruck hinterlassen hat – nicht, weil es schlecht ist, sondern, weil es einfach nur nett ist. 


Baba Dunja ist eine ehemalige Hilfskrankenschwester im betagten Alter von 83 Jahren. Sie lebt in Tschernowo, einem ausgestorbenen Nest in Russland, das es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Hier führt sie ein ruhiges und beschauliches Leben, inmitten einer Handvoll weiterer alter Leutchen, die hier ihr Leben beschließen wollen. Die einzige Aufregung, die sich ihnen im Alltag bietet, ist ein Besuch in der nächstgelegenen Kleinstadt, um Vorräte aufzufüllen, Post zu holen etc. Aber im Grunde genommen bevorzugen sie es, für sich zu bleiben, von dem zu leben, was sie selbst anbauen und ernten. Viele leben in den Tag hinein. Das Leben in Tschernowo könnte geruhsam und beschaulich sein, wenn .... ja, wenn der Reaktor nicht wäre. 
Denn Tschernowo liegt mitten im Sperrbezirk um den Reaktor von Tschernobyl. Die Umgebung ist verstrahlt. Das Dorf ist kurz nach dem Reaktorunglück geräumt worden. Jemand, der trotzdem hier hinzieht, entscheidet sich bewusst für das Ende seines Lebens. Und doch gibt es Menschen wie Baba Dunja, die mit dem Leben außerhalb nichts anfangen können, die sich im Alter vom Fortschritt überfordert fühlen, und, die sich nicht entwurzeln lassen möchten, ungeachtet aller Risiken, die sie mit der Entscheidung für ein Leben in Tschernowo eingehen.
„Ich bin alt, mich kann nichts mehr verstrahlen, und wenn doch, dann ist es kein Weltuntergang.“ (S. 16)

Freitag, 18. September 2015

Klaus Modick: Sunset


In seinem Exil in Los Angeles erhält der mittlerweile 72-jährige Lion Feuchtwanger die Nachricht, dass sein Freund Bertolt Brecht in Berlin gestorben ist. In den Stunden, die auf diese Nachricht folgen erinnert sich Feuchtwanger an viele Episoden aus dieser, für ihn bedeutsamen Freundschaft. Gleichzeitig durchlebt er viele Momente seines langen Schriftstellerdaseins noch einmal. 

"Es fängt damit an, denkt er, dass man versucht, Schönes zu schreiben. Später will man Großes schreiben. Noch später Gewaltiges, Moralisches, politisch Wirksames. Aber irgendwann, jetzt, kommt der Moment, da man nur noch das Wahre schreiben mag, und dann muss man feststellen, dass man die Wahrheit nicht kennt. So schrecklich ist das. So schrecklich einfach ist das. Immer aber schreibt man, weil man geliebt werden will." (S. 112)
In einzelnen Rückblenden nimmt der Leser teil an den Anfängen seiner Karriere und seinem Leben in Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik sowie des Nationalsozialismus. 1940 reist Feuchtwanger dann in die USA ein. Hier wird er den Rest seines Lebens verbringen. Feuchtwanger ist einer von vielen deutschen Künstlern, die vor den Repressionen der deutschen Nationalsozialisten nach Amerika exilieren. In Los Angeles bildet sich eine Kolonie deutscher Künstler, die hier einen regen gesellschaftlichen Umgang miteinander pflegen. Man trifft auf Namen wie Arnold Zweig, Fritz Lang, Alfred Döblin, die Familie Mann und natürlich Bertolt Brecht.

Donnerstag, 17. September 2015

Armin Greder: Die Insel - Eine tägliche Geschichte






Ich brauche das Buch nur aufschlagen, um zu sehen, wie aktuell diese Geschichte ist.



Ein dunkles, alles verschlingendes Meer.


Am Morgen fanden die Inselbewohner einen Mann am Strand,
da wo Meeresströmung und Schicksal sein Floß hingeführt hatten.
Er stand auf, als er sie kommen sah.

Er war nicht wie sie.


Bedrohlich sehen die Männer aus, wie sie da vor ihm stehen. Bewaffnet mit Gartengeräten. Sie wollen lieber, dass er gleich wieder verschwindet. Dorthin, wo er hingehöre.

Nur der Fischer, der das Meer kannte, stand ihm bei. Und so nahmen sie ihn auf.
Aber nicht etwa in ihrer Mitte. Nein, abseits, in einen alten Ziegenstall sperrten sie ihn ein. Ließen ihn dort hungern und frieren.

Dieser Mann, dieser Mensch steht für all die Menschen, die derzeit bei uns Zuflucht suchen. Die es geschafft haben in unser Land, mit ein paar Habseligkeiten oder nur mit dem, was sie am Körper tragen. Die Furchtbares erleben mussten. Die in ihrer Heimat alles verloren haben.
Und wie wurden sie zuerst empfangen. Mancherorts wollte man sie nicht. Zündete sogar Flüchtlingsunterkünfte an.
Haben wir Angst vor ihnen? Vor Menschen, die viel mehr Angst haben, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Die in Frieden leben wollen.

Und was tut die Politik. Die Grenzen werden kontrolliert. Die Europäische Union will Flüchtlingsboote, die auf dem Weg nach Europa sind, zerstören.

Armin Greder hält uns einen Spiegel vors Gesicht. So darf man mit Menschen nicht umgehen.
60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Nur ein winzig kleiner Teil von ihnen kommt zu uns. Und gerade wir müssen dafür sorgen, dass sie hier menschlich aufgenommen werden, hier eventuell auch eine neue Heimat finden.






Sind das wirklich wir? Können wir Menschen in Not keine Menschlichkeit entgegenbringen? Doch, das haben wir in München und anderen Städten gezeigt.

Mittwoch, 16. September 2015

Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

http://www.fischerbuch.de/product/4099276460840372557/Buecher/Thomas-Hardy/Herzen-im-Aufruhr


Nachdem sein Buch zuerst verrissen wurde, stellte man plötzlich fest, dass es "ein moralisches Werk sei und ein schwieriges Thema auf ernste Art behandle" - was er selbst im Vorwort schon schrieb.
Das war Grund genug für Thomas Hardy, mit dem Romane schreiben aufzuhören. Und es folgten tatsächlich nur noch einige Erzählungen.

Wir befinden uns im viktorianischen England. Von klein auf, seit der Schulmeister aus dem Dorfe fortzog, war es Judas Wunsch, ihm nach Christminster zu folgen. Doch die Stadt war weit weg. Wie sollte er das schaffen? Nein, sein äußeres Leben spielte sich im Laden seiner Großtante ab. Doch er hatte Träume.

Aber greifbar gegenwärtig, lebensbestimmend wurde ihm die Stadt vor allem durch die eine feststehende Tatsache, dass der Mann, dessen Wissen und Ziele ihm so verehrungswürdig schienen, wirklich und wahrhaftig dort lebte; und nicht nur das - er bewegte sich unter den gedankenreichen, geistig bedeutenden Menschen, die dort ihren Wohnsitz hatten!
Gerade das Richtige für ihn. Und so las er in jeder freien Minute.

Doch dann lernte er Arabella kennen und er ließ sich von seiner Studiererei ablenken. Arabella war berechnend. Sie wollte unbedingt erreichen, dass Judas sie heiratete. Was mich wundert, da er doch im Prinzip ein armer Tropf ist. Gutmütig, gutgläubig - ja, aber nicht reich.

Dann passiert es. In dem Moment, da er sich vornimmt, Arabella zu verlassen und fortzugehen, eröffnet sie ihm, dass sie schwanger ist. Obwohl er andere Träume hatte, steht er zu ihr und heiratet sie. Er ist ein anständiger Kerl.

Um sich selbst zu beschwichtigen, hielt er an einem Bild von ihr fest, das er sich künstlich zurechtgemacht hatte. Was er von ihr dachte, war das Ausschlaggebende, nicht Arabella selbst, sagte er sich zuweilen kurz und bündig.

Ja, insgeheim wusste er, dass Arabella keine gute Vertreterin ihres Geschlechts war.
Sie ziehen in ein kleines Haus, wobei Arabella davon ausgeht, dass es nur vorübergehend ist. So lange, bis Judas Geld verdient und ihr Kleider und Hüte kaufen würde.
Eines Abends eröffnete sie ihm, dass sie sich, was die Schwangerschaft anbelangt, geirrt hat. Judas ist wütend.
Er überlegt, was das für eine Gesellschaft ist, in der er seine jahrelangen Studien fallenlassen musste wegen einer Schwäche, der er nachgegeben hatte.

Mich wundert wirklich, dass Arabella es darauf angelegt hat, Judas zu heiraten. Ihre Rechnung, ihm ein Kind unterzuschieben, das es gar nicht gibt, ging auf. Und dann verlässt sie ihn und geht nach Australien.
Judas Kindheitswunsch erfüllt sich. Er geht nun wirklich nach Christminster. Aber er bekommt keinen Fuß in die Universität. Sein Leben besteht aus tagsüber arbeiten und des Nachts studieren. Bis er seine Cousine Sue trifft und sich kopflos in sie verliebt.
Schön beschreibt Hardy Judes' inneren Konflikt. Ist er doch verheiratet und dürfte Sue nur als Verwandter begegnen.
Und dann muss er miterleben, wie er Sue anscheinend an seinen ehemaligen Lehrmeister verliert. Und er selbst hat das möglich gemacht, indem er dafür gekämpft hat, dass Sue bei ihm als Aushilfslehrerin arbeiten konnte.

Diese "Dreiecksgeschichte" zeigt doch irgendwie die verquere Moral dieser Zeit. Wenn die Ehe nicht funktioniert, darf man sich anscheinend nicht scheiden lassen.
Arabella zum Beispiel nimmt das ganz locker. Sie verlässt einfach ihren Mann und lebt mit jemand anderem zusammen, ja hat im Ausland sogar geheiratet.
Sue und Juda zerfleischen sich fast gegenseitig vor lauter moralischen Fesseln.

Sue hat zwischenzeitlich Richard, den Lehrmeister, geheiratet. Aber auch das ändert nichts an den Gefühlen zwischen Sue und Juda. Sie wissen genau, sie dürfen nicht, aber sie können nicht voneinander lassen.
Juda verbrennt seine religiösen Bücher, um nur als Sünder zu leben. Und Sue flieht aus dem Schlafgemach des Paares. Sie findet es schrecklich und grausam, wie alles eingerichtet ist.

Sue bittet Richard um die Trennung, damit sie mit Jude zusammenleben kann. Das möchte Richard aber nicht zulassen, da sie sonst die Achtung und Zuneigung aller Leute verlieren würde. Was Sue so ziemlich egal war. Aber Richard willigt ein, in seinem Haus getrennt zu leben. Das beruhigte Sue die erste Zeit, doch sie wurde immer unruhiger.
Und so hat Richard Phillotson seine Frau freigegeben. Sie haben ihren Auszug so eingerichtet, als ob sie alleine auf Reisen geht. Nach einer gewissen Zeit wurden aber Fragen in der Stadt und auch in der Schule laut. Im Kollegium musste Richard dann die Wahrheit sagen, dass er seine Frau hat gehen lassen. Was man überhaupt nicht verstehen konnte und ihm nahebrachte, er möge die Schule verlassen. Aber er ließ es auf einen Streit an kommen, nach dem er krank zu Bett lag.
Da wird der Mann dafür bestraft, dass er sich menschlich zeigt.

Sue und Juda leben nun miteinander, bekommen sogar Zuwachs, da Arabella Juda eröffnet, dass er einen Sohn hat und er sich um ihn kümmern muss. Damit alles seine Ordnung hat, wollen die beiden nun endlich heiraten...

Klappt das gemeinsame Leben? Lest selbst.


Samstag, 12. September 2015

Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr

Es gibt Bücher, bei denen liest man den ersten Satz und weiß, dass dieses Buch nur gut sein kann. Man taucht ein in eine faszinierende Geschichte, und ehe man es sich versieht, ist man beim Ende angekommen. Wenn einem dann noch das Ende ein Lächeln ins Gesicht zaubert, hat die Autorin alles richtig gemacht..... so auch Jocelyne Saucier bei ihrem Buch "Ein Leben mehr".

Irgendwo in den Wäldern Kanadas, haben sich 3 Männer - Charlie, Tom und Ted - ein Lager eingerichtet. Irgendwann haben diese Männer beschlossen, sich von ihrem alten Leben zu verabschieden und ihren Lebensabend in der Einsamkeit zu verbringen. Die Männer sind zusammen fast 300 Jahre alt. Es ist, als ob die Einsiedelei, die sie sich geschaffen haben, die Endstation ihres Lebens ist. Sie genügen sich selbst und genießen die Freiheit, ihr Leben leben zu können, ohne auf andere Rücksicht nehmen zu müssen. Eines Tages taucht eine Fotografin bei ihnen auf, die für eine Story über eine Brandkatastrophe, die die Gegend zu Beginn des 20. Jahrhunderts heimgesucht hat, recherchiert. Als kurz darauf dann noch die 82-jährige Marie-Desneige bei ihnen einzieht, ist es vorbei mit der gewohnten Ruhe und Beschaulichkeit. Das Lagerleben ändert sich ....
"Ich liebe Geschichten, ich liebe es, wenn man mir ein Leben von Anfang an erzählt, mit allen Umwegen und Schicksalsschlägen, die dazu geführt haben, dass ein Mensch sechzig der achtzig Jahre später vor mir steht, mit einem ganz bestimmten Blick, ganz bestimmten Händen und einer ganz bestimmten Art zu sagen, dass das Leben gut oder schlecht gewesen ist." (S. 19 f.)

Ein zentrales Thema in dem Buch ist die Liebe im Alter.
Für viele mag Liebe und Erotik im Alter befremdlich sein, nicht so für Jocelyne Saucier. Ihr gelingt es, diese späte Liebe mit einem Zauber zu versehen, der den Leser einfach nur berührt. Bloß, weil jemand den größten Teil seines Lebens hinter sich gebracht hat, der Körper deutliche Spuren des Alters zeigt, heißt das noch lange nicht, dass Liebe nicht mehr zum Leben dazugehören. Mit der Geschichte, die Jocelyne Saucier erzählt, liefert sie den Beweis.

Ein weiteres Thema ist der Tod. Allein schon aufgrund des Alters der Protagonisten ist der Tod ein ständiger Begleiter in diesem Roman. Er hat aber nichts Bedrohliches sondern scheint von den 3 Männern als unabwendbare Tatsache und zum Leben dazugehörig akzeptiert zu sein. Wenn das Leben gelebt ist, folgt der Tod. Nur, wann das Leben zu Ende gelebt ist, ist eine Entscheidung, die die Männer nicht aus der Hand geben wollen.
"Wenn man die Freiheit hat, zu gehen, wann man will, entscheidet man sich leichter für das Leben." (S. 106)
Die Geschichte wird aus wechselnden Perspektiven erzählt. Sehr originell ist hierbei die Perspektive des "neutralen Beobachters", der wie eine Stimme aus dem Off das Geschehen zusammenfasst und Andeutungen über den Verlauf der Geschichte macht.
"Doch erst einmal müssen wir kurz innehalten und uns den Großen Bränden widmen, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im Norden Ontarios wüteten. Und was ist mit der Liebe? Nun, die Liebe muss noch etwas warten, ihre Zeit ist noch nicht gekommen." (S. 68)
Jocelyne Saucier gelingt es meisterhaft ihre Hauptcharaktere zu beschreiben. Man kann sich die Männer sowie Marie-Desneige bildlich vorstellen. So ist Charlie der introvertierte Naturbursche, ein Kümmerer und Beschützer. Tom ist der liebenswerte Chaot, der Extrovertierte in der Runde und die 82-jährige Marie-Desneige strahlt eine Kindlichkeit aus, die es zu bewahren gilt.
"Sie waren wie eine Familie, die Nachwuchs bekommen hatte. Die kleine Gemeinschaft am See befand sich in einem Zustand der Glückseligkeit, in dem sich alles um das Wohl des Neuankömmlings dreht. Und es gab eine bedeutende Veränderung, die zunächst niemandem auffiel: Sie sprachen nicht mehr vom Tod. Das Thema ging erst im Tumult von Marie-Desneiges Ankunft unter und dann im Entzücken über die vielen Neuentdeckungen, die sie machte. Marie-Desneige sah ihren ersten Schwarm Wildgänse, ihre erste Hasenspur im Schnee, ihren ersten Elch, der am Seeufer stand und trank, ihren ersten Uhu auf dem kahlen Ast einer Birke. Die Welt war jung und neu, wenn man sie durch Marie-Desneiges Augen betrachtete." (S. 104)
Aber auch die Nebencharaktere in diesem Buch sind bemerkenswert. Auf einmal stößt man auf Personen, die eigentlich eine untergeordnete Rolle spielen, aber trotzdem eine verblüffende Geschichte zu erzählen haben, mit der man als Leser nicht rechnet.
"Wenn Menschen, die es nicht gewohnt sind zu lächeln, es doch einmal tun, leuchtet ihr ganzes Gesicht. Miss Sullivans Lächeln strahlte hell wie die Sonne." (S. 144)
Mir hat die Stimmung, die in dem Buch vermittelt, sehr gut gefallen: Über allem schwebt eine Melancholie, die einen beim Lesen entschleunigt. Die Geschichte fließt vor sich hin und der Leser lässt sich dabei gern treiben.
"Etwas lag an diesem Spätsommerabend in der Luft, etwas, das sie alle tief berührte. Der laue Abend lud dazu ein, an das Vergehen der Zeit zu denken, bei ihr zu verweilen und sie dann ziehen zu lassen." (S. 158)
Ich habe dieses Buch innerhalb eines Tages gelesen. Einmal angefangen, wollte ich es nicht mehr an die Seite legen. Jocelyne Saucier erzählt eine Geschichte, die fesselt. Für mich eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe.

© Renie


Ein Leben mehr
Autorin: Jocelyn Saucier
Insel Verlag
ISBN: 978-3-458-17652-7

Der Verlag über die Autorin:
Jocelyne Saucier, geboren 1948 in der Provinz New Brunswick, lebt heute in einem Zehn-Seelen-Ort im Wald, im nördlichen Québec. Sie arbeitete lang als Journalistin, bevor sie mit dem literarischen Schreiben begann. Ein Leben mehr ist ihr vierter Roman, der erste in deutscher Sprache. (Quelle: Insel Verlag)

Dienstag, 8. September 2015

Neue Schätze


Es ist verrückt. Man kann sich noch so oft vornehmen: Keine Bücher mehr. Die Regale sind voll. Du schaffst eh nicht, all deine Bücher zu lesen. Unvernünftig, Geld zum Fenster rausschmeißen.
Egal, ich gebe es auf, mir vorzunehmen, keine Bücher mehr zu kaufen.
Vor Jahren habe ich mir das Rauchen abgewöhnt, ich trinke nur noch eine Tasse Kaffee täglich. Selbst für meine Handarbeit gebe ich kaum noch Geld aus.
Bücher, sie sind nun mal meine Leidenschaft. Und irgend etwas Schönes braucht der Mensch.

Hier also meine neuen Errungenschaften. Obwohl, sie sind nicht mehr neu. Meine Bibliothek hatte sie aussortiert. Und ab und an findet man dort richtige kleine Schätzchen. Zum Beispiel:

Sharpes Weihnacht von Bernard Cornwell
Klappentext
Endlich gibt es sie auch auf Deutsch: die beiden legendären Weihnachtserzählungen von Bernard Cornwell.
Die erste Erzählung, Sharpes Weihnacht, spielt an Weihnachten des Jahres 1813 an der spanisch-französischen Grenze. Richard Sharpe trifft einen alten Freund aus Indien wieder, doch diesmal stehen sie sich als Feinde gegenüber. In der zweiten Erzählung, Sharpes Lösegeld, bekommt Sharpe es an Heiligabend des Jahres 1815 mit einem ganz persönlichen Fall zu tun: der Entführung seiner Frau.

Ich kenne bisher nur die Filmserie Scharfschützen mit dem tollen Sean Bean. Einfach herrlich.

Nennt mich nicht Ismael! von Michael Gerard Bauer
Klappentext
Die perfekte Gebrauchsanweisung gegen Mobbing
Mal abgesehen von den übrigen Schulproblemen - Hausaufgaben, Mobbing und Liebeskummer -, trifft Ismael ein besonderes Schicksal: Sein Vorname macht ihn zum Gespött der Mitschüler.

Ein Schatten wie ein Leopard von Myron Levoy
Klappentext
Ramon Santiago will ein Macho sein. Wenn er sein Messer blitzschnell zückt, fühlt sich der schmächtige Puertoricaner in den Straßen New Yorks stark. Sein Vater und Harpos Gang sollen stolz auf ihn sein. Doch dann bringt der Überfall auf den alten Maler Glasser seine Wunschträume durcheinander. Ramon beginnt nachzudenken - und er entdeckt ganz allein, wer er eigentlich ist. Aber damit ist Harpos Gang überhaupt nicht einverstanden...

Weiße Magie - mordsgünstig von Steve Hockensmith
Klappentext
Hokupokus mit Todesfolge
Als Alanis McLachlan erfährt, dass ihre Mutter ermordet wurde, hat sie sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Ihr seltsames Erbe: ein kleiner Laden für okkulten Bedarf aller Art. Das lässt nichts Gutes ahnen, denn Alanis' Mutter war eine Trickbetrügerin mit mehr als zweifelhafter Karriere. Offenbar war ihre neueste Masche das Tarotkartenlegen.
Um den Mörder zu finden, übernimmt Alanis den Laden selbst. Was nicht ohne Risiko ist, denn vom Tarot hat sie nicht die geringste Ahnung...

Washington Square von Henry James
Klappentext
New York, Mitte des 19. Jahrhunderts. Catherine, einzige Tochter des angesehenen Arztes Dr. Sloper, führt am Washington Square das Leben eines reichen Mauerblümchens. In Morris - jung, schön, aber mittellos - begegnet ihr die große Liebe. Doch ihr Vater hält ihn für einen Mitgiftjäger.

Nebel über Oxford von Veronica Stallwood
Klappentext
In Oxfords Straßen geht die Angst um...
Wer hat es bloß auf uns abgesehen? Der Medizinstudent ist verzweifelt. Irgendjemand terrorisiert ihn und die anderen Mitglieder seiner Forschungsgruppe mit Drohbriefen, Brandsätzen und Briefbomben. Stecken Tierschützer hinter den feigen Attacken? Die Polizei tappt im Dunkeln. Bald gibt es den ersten Toten - und Sam weiß, dass ihm nur eine Wahl bleibt, um dem Spuk ein Ende zu setzen: seine Freundin Kate Ivory um Hilfe bitten.

Ein guter Blick füs Böse von Ann Granger
Klappentext
Alter schützt vor Morden nicht
Eigentlich wollen Lizzie Martin und ihr Hausmädchen Bessie nur einen entspannenden Spaziergang unternehmen - bis sie auf Thomas Tapley treffen, einen Nachbarn von Lizzie, der als harmloser alter Exzentriker gilt. Die Begegnung ist Auftakt einer Reihe merkwürdiger Ereignisse, die ihren Höhepunkt am nächsten Tag erreicht, als Tapley erschlagen aufgefunden wird. Rasch stellt sich heraus, dass Tapley offenbar viele Geheimnisse hatte.
Und ein paar Feinde...

Nun hätte ich mir nur noch die Zeit dazukaufen müssen, um sie lesen zu können.

Montag, 7. September 2015

Michel Bergmann: Weinheber's Koffer

Wenn man dieses Buch das erste Mal in den Händen hält, fällt einem sofort der Begriff "klein, aber fein" ein: "Klein" vom Umfang her (146 Seiten), "fein" von der Aufmachung her: Halbleinen in dezentem Meeresgrün... und dann dieser wunderschöne alte Koffer, der auf dem Buchdeckel abgebildet ist.
Der Koffer ist auch der Grund, warum ich dieses Buch unbedingt lesen wollte. Denn der Koffer hat es in sich:
Quelle: DÖRLEMANN
Elias Ehrenwerth, Journalist in Berlin, findet in einem Ramschladen einen alten Koffer mit den Initialen L.W. Der Koffer gehörte einem jüdischen Schriftsteller namens Leonard Weinheber, der während des Nationalsozialismus gezwungen war, 1939 auszuwandern. Er erwarb eine Schiffspassage nach Palästina, ging in Marseille auf's Schiff, kam aber nie in Palästina an. Nur sein Koffer wird in Jaffa abgeladen, was mit L. W. geschehen ist, bleibt ein Rätsel, das Elias nun, mehr als ein halbes Jahrhundert später, beschäftigt.
Elias reist nach Israel und begibt sich auf Spurensuche. Während seiner Nachforschungen begegnet er vielen interessanten Menschen und Zeitgenossen Weinheber's, die ihm einen tiefen Einblick in ihre individuellen Schicksale und Lebenswege gewähren.
"Mir wurde dabei wieder einmal deutlich, dass es speziell in diesem Land Schicksale gab, die alle aufgeschrieben und damit für immer festgehalten gehörten. Diese Generation stirbt aus, dachte ich, und es ist ein Frevel, dass sie es schweigend tut, weil sie niemand mehr fragt, wie alles gekommen ist." (S. 68)
Elias Ehrenwerth ist selbst Jude und wittert ständig und überall Antisemitismus. Für ihn wird "der Jude" immer in die Opferrolle gedrängt. Elias ergreift Partei für die Juden im Israelkonflikt. Er scheut sich auch nicht, seinen Standpunkt mit Vehemenz zu vertreten. Das macht ihn zu einem unangenehmen Gesprächspartner, zumal Diskussionen zur Israelpolitik auch in wütendem Streit ausarten können.
Nichtsdestotrotz ist er tolerant genug, andere Meinungen zu akzeptieren und sogar Araber zu seinen Freunden zu zählen.
"Okay, sagte Amin, das ist schrecklich, aber was wir gemeinsam haben mit den Juden von damals, ist die Verachtung. Ich setzte mich auf. Was tut ihr denn, um nicht verachtet zu werden? Wo sind denn die arabischen Intellektuellen, die offen das Existenzrecht Israels anerkennen und die Angriffe aus Gaza verdammen? Solange die Angst vor den eigenen Leuten den Alltag diktiert, wird sich nichts ändern. Amin lächelte. Immer noch der alte Elias, meinte er, immer auf Streit gebürstet." (S. 44)
Der Aufbau dieses Romans ist sehr besonders. Es gibt 3 Handlungsebenen:
  1. Elias' Nachforschungen in Berlin und Israel, die einen Einblick in das Leben der Juden in Israel in der heutigen Zeit geben
  2. Während seiner Nachforschungen stößt Elias auf Briefe, die sich Weinheber und seine Verlobte Lenka geschrieben haben, und die der Leser in diesem Roman zu lesen bekommt. Diese Briefe machen betroffen. Sie vermitteln wiederrum einen Einblick in die Situation der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Leser spürt die Verzweiflung, die viele damals bewogen hat, aus Deutschland zu fliehen, sowie auch gleichzeitig die Hoffnung auf ein friedlicheres Leben.
  3. Es existiert ein Manuskript zu Weinheber's Roman, den dieser jedoch aufgrund seines Berufsverbots nicht veröffentlichen durfte. Zusammen mit Elias vertieft sich der Leser in dieses Manuskript. Weinheber's Roman behandelt den aussichtslosen Kampf eines Juden im Nazi-Deutschland. Selbstverständlich fragt man nach den Parallelen zu Weinheber's eigenem Schicksal.
"Er war sogar ein anständiger Antisemit, wie Friedländer es nannte. Einer, der zwar "nichts gegen Juden hatte", aber sie in seiner Familie, seiner Stadt und schließlich seinem Land nicht dulden wollte. Einer, der Juden als Fremdkörper wahrnahm. Er fand sich damit in der Tradition des klassischen Bürgertums wieder, denn der Judenhass war ein Empfinden, das zutiefst der Mitte des deutschen Volkskörpers entsprang. Besonders jene waren davon infiziert, die persönlich Juden nicht näher kannten." (S. 55)
Dieses Buch hat mich berührt. Durch die unterschiedlichen Schicksale, die sich in diesem Buch präsentieren, versteht man, dass die Lebensumstände in Israel - damals wie heute - nicht viel mit dem sorgenfreien Leben, das sich die damaligen Auswanderer erhofft hatten, zu tun haben. Ein lesenswertes Buch!

Ich möchte mich an dieser Stelle noch beim Dörlemann Verlag bedanken, der mir dieses Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

© Renie

Weinhebers Koffer
Autor: Michel Bergmann
Dörlemann Verlag AG
ISBN 9783038200161

Der Verlag über Michel Bergmann:
1945 in Basel als Sohn jüdischer Eltern geboren, verbrachte seine Kindheit in Paris, seine Jugend in Frankfurt am Main. Michel Bergmann absolvierte eine Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau, später arbeitete er als freier Journalist, Autor, Regisseur und Produzent sowie als Drehbuchautor für Film und Fernsehen. Zahlreiche Veröffentlichungen (Filme, Beiträge in diversen Zeitungen, Zeitschriften, Anthologien, Romane) und Filmpreise. Michel Bergmann lebt in Berlin. (Quelle: DÖRLEMANN)

Samstag, 5. September 2015

Lesen mit Mira: David Gilmour: Unser allerbestes Jahr





Vater, Sohn und viele Filme

Jesse hat überhaupt keinen Bock mehr auf Schule. Papa Daniel macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag. Er darf bei Kost und Logis die Schule abbrechen. Muss sich mit Papa aber drei Filme pro Woche anschauen (das hätte mir damals mal jemand vorschlagen sollen).
Als Daniel es nach einiger Zeit Arbeitslosigkeit geschafft hat, einen lukrativen Auftrag zu angeln, fuhr er mit Jesse und dessen Mutter (seine geschiedene Frau) für einen kurzen Tripp nach Kuba. Den Job feiern. Das Aufwachen erfolgte, als sie wieder zurück waren. Der Auftrag hat sich in Luft aufgelöst, Daniel ist pleite.
Doch erst mal geht der Filmclub weiter.

Manche Filme sind eine Enttäuschung, wenn man sie wiedersieht - man muss beim ersten Mal verliebt gewesen sein oder an gebrochenem Herzen gelitten haben, jedenfalls war man wegen irgendetwas besonders aufnahmefähig, aber jetzt, aus einer anderen Perspektive betrachtet, ist der Zauber verschwunden.

Dieses Gefühl befürchtete ich auch, als ich mir nach über 20 Jahren die Abenteuer des David Belfour wieder angeschaut habe. Glücklicherweise blieb der Zauber erhalten. Er gefällt mir heute noch so gut wie damals.

Nur selten haben Vater und Sohn dieselbe Meinung über einen Film oder eine Szene. David, der hier der Ich-Erzähler ist, bekommt mit, dass Jesse Probleme mit Mädchen hat. Eines, das er gerne als Freundin haben möchte, will ihn nicht mehr. Dann findet er eine andere, und plötzlich hat die erste wieder Interesse.

Dass das Thema Filme in der Geschichte so einen großen Raum einnimmt, kommt nicht von ungefähr. David Gilmour ist nicht nur Schriftsteller und Fernsehjournalist, sondern auch Filmkritiker von Beruf.

David Gilmour war ab 1980 vier Jahre lang Chefredakteur des Toronto International Film Festival. Von 1986 bis 1997 arbeitete er als Filmkritiker für den kanadischen Fernsehsender CBC Television.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/David_Gilmour_(Autor)

Es kommen wirklich viele Filme zur Sprache. Manche werden nur benannt, über andere wird ein bisschen erzählt. Wie bei Internal Affairs - Trau ihm, er ist ein Cop mit Richard Gere als korruptem Cop (er kann nicht nur romantisch, nein nein).

Unverschämt gute Unterhaltung. Richard Gere spielt einen korrupten Polizisten. Als ein etwas labiler Kollege (William Baldwin) vor dem internen Ermittlungsausschuss ausgesagt hat, zeigt sich, was für ein exzellenter Bösewicht Gere sein kann. (Besser als in seinen romantischen Hauptrollen.) Mit seinen kleinen Augen ist er der Jago im Los Angeles Police Department. Geres Reglosigkeit - und die moralische Arroganz, die er ausstrahlt - ist absolut hypnotisch. Man begreift, warum dieser Polizist sogar an der Exfrau festhält. Und dass er, in die Enge getrieben, zu allem fähig ist. Ich wies Jesse vor allem auf eine Szene hin: Gere sagt nur ein paar Sätze, ganz beiläufig, ja, fast belustigt, und schon löst er in der Fantasie von Andy Garcia, dem Beamten, der gegen ihn ermittelt, das gesamte Spektrum sexueller Horrorvisionen aus.

Herrlich, ich kann mich an diese Szene erinnern. Ein toller Film. Überhaupt, dieses "allerbeste Jahr" hätte besser "allerbestes Filmjahr" heißen können. Ich hätte dieses Jahr auch gerne mit Gilmour verbracht. So viele Filme, an die ich erinnert werde, Klassiker: Der eiskalte Engel mit Alain Delon, Der Pate mit Al Pacino, Steve McQueen und viele mehr.

Clint Eastwood (noch ein klein wenig regloser, und er wäre tot).

Mehr als ein Jahr ist schon vergangen, seit Jesse die Schule geschmissen hat. Und noch keine Anzeichen, dass er wüsste, was er mit seinem Leben anfangen sollte.
Aber sie hatten den Filmclub. Und viel Zeit, um miteinander zu reden. Über alles mögliche: die 60er Jahre, die Beatles, Mädchen, Adolf Hitler, Dachau, Tattoos, die Themen waren breit gefächert.
David hat zwischenzeitlich auch wieder Arbeit gefunden. Derweil scheint Jesse immer tiefer abzurutschen. Keine vernünftige Arbeit, er raucht zu viel, hat zu oft einen Kater und nimmt Drogen. Und er hat Pech mit den Mädchen.
Wie geht es weiter? Findet Jesse richtig zu sich? Findet er seinen Platz in dieser Welt?
Lest selbst.

Fazit: Jeder liest ja aus einem Buch etwas anderes für sich heraus. Ich denke nicht, dass diese Geschichte die vielen Lobeshymnen wegen der Auflistung der vielen Filmtitel bekommen hat.
Ohne Frage, eine tolle Geschichte, glücklicherweise mit einem positiven Ende. Das habe ich mir einfach gewünscht.
Aber mir hat das Buch halt auch wegen der Filmtitel gefallen. Die Einschätzung der Filme und Schauspieler durch den Filmkritiker Gilmour haben mir unheimlich Spaß gemacht. Viele Filme und Schauspieler, die hier aufgeführt sind, kenne ich. Habe sie seit meiner Jugend gesehen. Einer Zeit, in der ich meinen Lesehunger nicht so stillen konnte, wie ich gerne wollte, weil mir einfach das Geld fehlte, um mir Bücher zu kaufen.

Ich vergebe 10 von 10 Punkten.


Hier gehts zu Miras Buchbesprechung:

Freitag, 4. September 2015

Lesen mit Mira: David Gilmour: Unser allerbestes Jahr

Moin, ihr Lieben,

zwar mit ein bisschen Verspätung, aber es heißt wieder mal: Lesen mit Mira.

Mich zwickt ja schon seit geraumer Zeit die Schreibblockade. Aber bei unserem September-Buch scheint sie eine Pause einzulegen.

Diesmal war ich dran mit dem Aussuchen, doch Rabenliebe von Peter Wawerzinek war ein Fehlgriff. Für mich genauso wie für Mira.

Dann fiel meine Wahl auf



Von Mira kam noch kein Hilferuf, und mir gefällt es bisher richtig gut. Mit etwas Glück erzähle ich am Sonntag etwas darüber.

Donnerstag, 3. September 2015

Martin Bühler: Schattenlicht (Gesamtausgabe)

Martin Bühler entdeckt bei einer Entrümpelungsaktion die Tagebücher seines verstorbenen Vaters Matthias. Beim Lesen der Aufzeichnungen seines Vaters stellt er fest, dass dieser mit der Beschreibung seines Lebens ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte zu Papier gebracht hat, die man anderen nicht vorenthalten darf. Basierend auf diesen Tagebuchaufzeichnungen ist dieser biografische Roman entstanden.



Die Geschichte beginnt in den 20er Jahren und beschreibt den Lebensweg von Matthias bis in die 70er Jahre: seine Kindheit, sein Erwachsenwerden, Nationalsozialismus und Krieg sowie die Nachkriegszeit mit dem Wiederaufbau und dem deutschen Wirtschaftswunder.



Als ich die ersten Seiten dieses Buches gelesen habe, fühlte ich mich tatsächlich in meine Kindheit zurück versetzt. Meine Großeltern entstammten derselben Generation wie Matthias. Und die Erzählungen über sein Leben erinnern mich wohltuend an die Geschichten, die mir meine Großmutter immer erzählt hat. Als Kind hing ich immer völlig fasziniert an ihren Lippen, wenn sie aus ihrer Vergangenheit erzählt hat. Ich habe die Erzählungen meiner Großmutter immer als sehr spannend und stimmungsvoll empfunden. Und genauso ging es mir mit dem Erzählstil von Martin Bühler. Er versteht es, den Leser mit seiner Geschichte zu fesseln, indem er sehr intensive Stimmungen vermittelt: Matthias‘ harte Kindheit, die Verzweiflung und Angst während des Krieges, aber auch das Nachvorneblicken und die Hoffnung in der Nachkriegszeit.

„Da spürte ich zum ersten Mal, dass Worte größere Wunden schlagen können als die schärfsten Schwerter. Die Tragik dabei war jedoch, dass Menschen, die bislang nichts als Arbeit und Pflichterfüllung gekannt hatten, plötzlich provozierend in die Unmoral der Politik manövriert wurden, von der sie eigentlich gar nichts wissen wollten.“
Im Verlauf der Geschichte lernt man viele Zeitgenossen aus Matthias’ Leben kennen. Das können Dorfbewohner sein, Verwandte, Kriegskameraden, Nazis etc.. Die Beschreibung dieser Charaktere aus der Sicht von Matthias ist schon sehr besonders, da sie sehr akribisch ist. Da wird auf das kleinste Detail geachtet, kein Charakterzug ausgelassen. Dadurch gewinnt der Leser ein sehr lebhaftes Bild der jeweiligen Person. 

Genauso akribisch wie die Charaktere beschreibt Martin Bühler auch andere Themen, die seinen Vater beschäftigten, wie z. B. Pflanzenkunde, Chemie etc. Was bei den Personenbeschreibungen unterhaltsam ist, wirkt in anderen Themenbereichen jedoch manchmal sehr ausufernd. Hier wäre weniger mit Sicherheit mehr gewesen.

Sehr gut hat mir die Entwicklung des Charakters von Matthias gefallen. Ich gebe zu, anfangs hatte ich meine Schwierigkeiten, da Matthias nicht viel von sich Preis gab. Aber wie bei einem guten Bekannten, der sich mit der Zeit zum guten Freund entwickelt, ist es mir auch mit Matthias ergangen. Man lernt ihn im Verlauf der Geschichte besser kennen. Anfangs ein Junge, der sich trotz harter und arbeitsreicher Kindheit noch ein gewisses Maß an Unbeschwertheit zu bewahren weiß; der ein Romantiker sein kann und einen Sinn für die schönen Dinge des Lebens entwickeln kann. Später zeigen sich sein Ehrgeiz und seine Zielstrebigkeit. Zum Ende des Buches präsentiert sich Matthias als geradliniger Typ, der es immer geschafft hat, sich von der breiten Masse zu distanzieren und seinen Weg auf seine eigene Art zu gehen.
„Ich war kein Charmeur, kein Salonlöwe oder Schmeichler, sondern im Gegenteil herb und geradeheraus, ohne Rücksicht auf Nachteile, die mir aus meinem Benehmen entstehen konnten. Aber ich war fähig zuzuhören, mich in das Schicksal anderer hineinzuleben und Anteil zu nehmen an der Tragik leidgeprüfter Menschen. Das war wohl der Schlüssel, warum andere sich mir anvertrauten, warum sie mir ihr Herz ausschütteten und ich oft mehr Geheimnisse erfuhr, als ich in jungen Jahren verdauen konnte.“
Ich könnte mich jetzt noch über die politischen Stimmungen der damaligen Zeit in Deutschland auslassen, die einen großen Teil dieser Trilogie ausmachen. Da die Zeit des Nationalsozialismus jedoch ein Thema ist, über das ich mich endlos auslassen könnte, halte ich mich lieber zurück. Nur soviel, Martin Bühler regt zum Nachdenken an. Die Geschichten, die er durch seinen Vater aus dieser Zeit erzählt, machen betroffen, wütend – aber auch Angst. Insbesondere, wenn man doch gewisse Parallelen zur heutigen Zeit sieht. Ich habe Schattenlicht im Rahmen einer Leserunde bei „Whatchareadin“ gelesen. Ein Mitleser hat es ganz treffend formuliert, ich gebe es sinngemäß wieder: Als wir in der Schule den Nationalsozialismus durchgenommen haben, haben wir geschworen, dass in Deutschland so etwas nie wieder passiert. Wir dachten, wir Deutschen hätten aus unserer Geschichte gelernt. Was sind wir naiv!

Ich freue mich, dass ich Martin Bühler und die Geschichte seines Vaters bei „Whatchareadin“ entdeckt habe. Wenn er sein Buch dort nicht präsentiert hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht auf ihn aufmerksam geworden und um einen besonderen Lesegenuss gebracht worden. Daher kann ich nur hoffen, dass viele sich von meiner Buchbewertung inspirieren lassen und sich ebenfalls auf dieses Stück deutscher Zeitgeschichte einlassen werden.

© Renie

Schattenlicht Gesamtausgabe
Autor: Martin Bühler
CreateSpace Independent Publishing Platform
ISBN: 978-1516849185